Der ist Gold wert

22.07.2016

Mit seinen Olympiasiegen sorgt SEBASTIAN BRENDEL nicht nur für eine sportliche Erfolgsbilanz. Sie stehen auch für Ehrlichkeit

Als Kanu-Bundestrainer Reiner Kießler die Nachricht erhielt, dass Doppel-Olympiasieger Sebastian Brendel die deutsche Mannschaft bei der gestrigen Olympia-Abschlussfeier als Fahnenträger ins Stadion zu führen soll, war er noch gerührter als er es am Samstag ohnehin schon war. „Das ist so schön“, sagte der Bundestrainer. „Kanuten sind keine Stars, aber vielleicht Vorbilder für andere. Sie sind fleißig, stehen früh auf und gehen zeitig ins Bett.“

Früh aufstehen hieß es auch am vergangenen Samstag, dem letzte Finaltag für die Kanu-Wettkämpfe dieser Olympischen Sommerspiele, der als inoffizieller deutscher Kanufeiertag in die Geschichte eingehen wird. „Um 6.20 Uhr sind wir in den Bus gestiegen und zur Wettkampfstätte gefahren“, erzählt Ralph Welke, der Disziplintrainer der deutschen Canadierfahrer vom KC Potsdam. „Und um 9.22 Uhr ging es ja schon los.“ Dass es auch eine lange Nacht wurde, deren Ende Welke weiß Gott nicht voraussagen konnte, lag an den Ereignissen, die sich da auf der Lagoa de Freitas am frühen Morgen ereignet hatten. Allen voran Sebastian Brendel, der auf der Regattastrecke von Rio ein zweites Mal seine goldene Fahrrinne zog. Gemeinsam mit seinem Potsdamer Vereinskameraden Jan Vandrey gewann der 28-Jährige im Zweier-Canadier. Wegen des dopingbedingten Olympia-Ausschlusses der weißrussischen Männer hatten die Beiden überhaupt an den Start in dieser Bootsklasse gehen können. Viel Zeit zum Üben hatten sie nicht. „Wir sind erst zum zweiten Mal zusammen gefahren. Zweites Rennen, erster Sieg – vielleicht sind wir jetzt öfters im Zweier unterwegs“, sagte Brendel augenzwinkernd. Mit seiner großen Klasse und Erfahrung machte er den Übungsmangel wett. Wie das deutsche Boot auf den letzten 250 Metern an den führenden Brasilianern vorbeizog, war schlechtweg imposant – und gewollt. „Nach dem Rennen im Einer war abzusehen, dass sich die Brasilianer wieder versuchen würden, von vorn zu fahren“, erzählt Welke und verrät: „Unser Plan war, auf den letzten 250 Metern richtig loszulegen.“ Brendel tat dies wie entfesselt, als hätte er ein Zeichen bekommen, endlich lospaddeln zu dürfen. „Sebastian kann’s auf jeden Fall, ich musste halt mitziehen“, meinte Vandrey später.

Ganz so bescheiden sollte sich der 24-Jährige nach Ansicht seines Trainers jedoch nicht: „Jan hat sich individuell kontinuierlich weiterentwickelt und bei Sichtungen und Weltcups unter den deutschen Mitbewerbern durchgesetzt“, lobte Welke. Natürlich sei es buchstäblich Gold wert, einen wie Brendel mit dessen „Cool- und Cleverness“ im Boot zu haben, meint der Erfolgscoach.

„Das ist die Woche meines Lebens, das wird mir immer in Erinnerung bleiben“, sagte Brendel nach seiner zweiten Goldmedaille später im Deutschen Haus. Er erwarte einen „unbeschreiblichen Auftritt“ im Maracanã-Stadion von Rio, bekannte der Potsdamer demütig. „Das ist im Sportlerleben eines der größten Ereignisse.“

Olympiasieger 2012, Doppel-Olympiasieger 2016, fünfmaliger Weltmeister, Europaspiele-Sieger 2015, etliche EM-Titel – Sebastian Brendel verkörpert seit langem wie kein anderer Kanute den Erfolg. Und steht doch immer dann, wenn nicht gerade Olympische Spiele sind, außerhalb des Rampenlichts. Maximal bei Weltmeisterschaften registriert die Öffentlichkeit Brendels Siege – bei Weltcups oder deutschen Meisterschaften aber sind die Kanuten meist außen vor. Er selbst moniert das immer wieder und fordert regelmäßig – auch jetzt wieder Rio – attraktivere Formate für Kanu-Wettbewerbe. Mit seinen Siegen in Rio jedoch, seinem öffentlichen Auftreten und seinen klaren Worten gegen Doping macht sich Brendel selbst zum eifrigsten und mutigen Anwalt sowie Werbeträger seines Sports. Mit klaren und einfachen Worten und einer erfrischenden Bodenständigkeit gibt der nunmehr dreifache Olympiasieger dem gesamten Sport ein Stück weit Glaubwürdigkeit und Freude zurück.

Mit insgesamt viermal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze gewann der Deutsche Kanu-Verband auch die Nationenwertung. Besser hatte das Team zuletzt vor zwölf Jahren in Athen mit viermal Gold und dreimal Silber abgeschnitten. Der DKV war damit auch bester deutscher Verband in Rio. Dass dabei durch Brendel, Vandrey, Franziska Weber und Ronald Rauhe fünf Medaillen auf das Konto des KC Potsdam gehen, manifestiert dessen Ruf des besten Kanuclubs der Welt. (mit dpa)